Absturz aus dem Wolkenkuckucksheim

Der Philosophieprofessor Otfried Höffe hat sich entschlossen, nicht am „Welttag der Philosophie“ in Teheran teilzunehmen. Das ist keine weltbewegende Nachricht, allerdings hat Höffe die ausführliche Begründung seiner Absage in der FAZ publiziert.

Dabei erscheint grundsätzlich erfreulich, daß Höffe – allerdings wohl eher unabsichtlich – überhaupt auf den grotesken Umstand hinweist, daß die Organisation des  „Weltphilosophietags“ von der UNESCO dieses Jahr ausgerechnet an die Islamische Republik Iran vergeben worden ist. Aufgabe dieses seit 2002 stattfindenden Tages sei, so Höffe, die Rolle der Philosophie im Gespräch zwischen den Kulturen [zu] stärken“. Um den Frieden geht es überdies, das hätte man sich denken können. UNESCO halt. Man wundert sich da nurmehr, daß dieser globale Philosophengipfel nicht schon in Tripolis (Philosophie des „Grünen Buchs“) oder Pjönjang („Juche“- Philosophie) stattgefunden hat.

Höffes Aufsatz über die Gründe für seine Absage jedenfalls liest sich in seinem etwas stockenden Duktus wie eine gelinde Satire vom deutschen Philosophieprofessor, dem plötzlich aufgegangen ist, daß das Schöne, Wahre und Gute bei Berührung mit dem kruden Boden der Realität doch etwas unsanft aufsetzt. Das wäre ja alles noch recht nett, doch Höffe liefert auch ein ausgezeichnetes Beispiel für die bisherige Heuchelei im Umgang mit der Islamischen Republik Iran.

Der Teheraner Philosophentag also deren wissenschaftliche Leitung  jener Teheraner Akademie für Weltweisheit und Philosophie anvertraut [wurde], die sich auch Iranisches Philosophie-Institut nennt und der ich seit Besuchen im Kant-Jahr 2004 als erstes ausländisches (Ehren-)Mitglied verbunden bin … nun, das ist ein Idyll. Auf der Webseite Qantara, die nicht gerade im Ruch eines überkritschen Bewußtseins vom „Dialog“  steht, liest sich das so:

Am Pförtnerhäuschen vorbei fällt der Blick auf einen Park mit Birken, Springbrunnen und zwei Villen aus dem 19. Jahrhundert. In diesem Paradies nach altpersischem Geschmack hält es der Geist gewiss gut bei sich selbst aus.

Gewiß, hierher dringt er bestimmt nicht, der Lärm der Demonstrationen, und der Schatten von Baukränen, an denen öffentlich Aufgehängte baumeln, der fällt sicher auch nicht in dieses Paradies nach altpersischem Geschmack. Aber selbst bei Qantara konnte man sich 2009 zu den Diskussionen in diesem Philosophenidyll nicht die Bemerkung verkneifen:

Dass sich im Rahmen solcher Veranstaltungen auch das fundamentalistische Establishment im sanften Licht kultivierter Weltoffenheit präsentieren konnte, während Zeitungen verboten, Dissidenten inhaftiert und Schriftsteller ermordet wurden, produzierte unüberhörbare Störgeräusche in einem „Dialog der Zivilisationen“, der kaum je seine Voraussetzungen reflektierte.

Also halten wir fest: Mit seiner Ehrenmitgliedschaft in einer Akademie der Islamischen Republik Iran hatte und hat Höffe offensichtliche keine Probleme. Und er tut tatsächlich so, als sei dieser iranische Staat erst seit Juni 2009 etwas in die Kritik geraten. Und Höffe spricht in seiner unerschütterlichen Offenheit sogar aus, daß er bei den Vorbereitungen zu dem im November stattfindenden Philosophentag bereits sehr aktiv eingebunden gewesen ist, allein der Wechsel im Organisationskomitee, das war ihm zuviel. Und jetzt aber volle Pulle:

Von einem Teheraner Weltphilosophietag musste man dasselbe erwarten [wie vom Philosophetag vor zwei Jahren in Istanbul, OMP): den freien philosophischen Gedankenaustausch auf hohem wissenschaftlichem Niveau und ohne politische Zensur. Nach der Einladung des Direktors der Teheraner Akademie, Gholamreza Aavani, einen Hauptvortrag zu halten und überdies deutsche und ausländische Kollegen zur Teilnahme zu gewinnen, habe ich mit Kennern die Pro- und Kontra-Argumente überlegt. Generell sprechen für die Teilnahme die Möglichkeit einer freien Debatte, im Fall des Iran zusätzlich die Chance, Grundsätze der iranisch-islamischen Philosophie in den allgemeinen Philosophiediskurs einzubringen und iranische Studenten über neueste Entwicklungen der Philosophie in aller Welt zu informieren.

Man muß wohl schon entweder deutscher Philosophieprofessor oder Funktionär der UNESCO sein, um den ersten Satz dieses Zitats gedanklich fehlerfrei formulieren zu können.

Eine Korrektur: deutsche Fernsehintendanten würden nach ihrem gelungenen Propagandaauftritt mit dem iranischen Fernsehchef so einen Satz wohl auch hinbekommen.

Aber nicht, daß so ein Philosoph nicht ordentlich abwägen könnte! Also bitte, gerade ein Philosoph!

Auf der Gegenseite steht der Umstand, dass man in einem Land mit einer unberechenbaren Diktatur auftritt. Nach Abwägen des Dafür und Dawider habe ich mich zunächst entschlossen, Kollegen aus Brasilien, den Vereinigten Staaten und Deutschland für Vorträge zu gewinnen und selbst zum Thema „Heilige Schriften innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“ zu sprechen. Mit kantischen Überlegungen zum Verhältnis von Philosophie und Offenbarung wollte ich zur Aufklärung in einem stark von der Religion geprägten Land beitragen. Jetzt allerdings sehe ich mich gezwungen, die Zusage zurückzunehmen.

Oh, da hat dem Philosophieprofessor also jemand – ein mutiger Student? – etwas von den Morden und der Folter, von den Hinrichtungen und der Unterdrückung im Iran gesteckt. Dieser unberechenbaren Diktatur, von deren Philosophieakademie sich Höffe 2004  gerne zum Ehrenmitglied hat machen lassen.

Ein Wort des Bedauerns, der leisen Selbstreflexion, gar des Erschreckens über die eigene Unfähigkeit, sich vom Bösen in der Welt vereinnahmen zu lassen? Das, ja, das wäre eine, zwar nicht weltbewegende, aber doch bewegende Nachricht gewesen. Doch so etwas kommt Höffe gar nicht erst in den Sinn.

Nehmen wir einmal an, Otfried Höffe interessiert sich ausschließlich für Philosophisches. Den Politikteil in den Zeitungen liest er erst gar nicht, Fernsehen schaut er auch nicht. Also kann er auch nicht mitbekommen haben, daß bei den Teheraner Schauprozessen im August 2009 einem Angeklagten der Kontakt mit Jürgen Habermas angekreidet wurde? Gestört hat Höffe dieser Umstand, der jenseits aller philosophischen Paradiesgärten doch recht deutlich die Grenzen der Philosophie unter der Diktatur  aufgezeigt hat, bei seinen Vorbereitungen für den Teheraner Philosophentag jedenfalls nicht.

Umso lauter muß der abwägende Moralist Höffe nun seine Absage betönen:

Für einen derartigen Schritt braucht es mehr als nur gute, es bedarf sehr guter Gründe. Ihr Kern besteht in der enttäuschenden Nachricht, nicht Gholamreza Aavani, sondern Haddad Adel sei der Leiter („chief“) der Veranstaltung geworden, direkt von Präsident Ahmadineschad ernannt. Der Philosophieprofessor Adel hat zwar vor längerer Zeit Kants „Prolegomena“ übersetzt und verspricht seit langem eine Übersetzung des nach Schopenhauer „wichtigsten Buches, das jemals in Europa geschrieben worden“, also von Kants „Kritik der reinen Vernunft“. Adel ist aber nicht bloß akademischer Philosoph, sondern in die Machenschaften der politischen Führung so intim verstrickt, dass man die seit Ahmadineschads Präsidentschaft veränderte Lage nicht in den Hintergrund schieben darf. Noch vor wenigen Wochen hat Adel Dissidenten eine Wiederholung von „Kahrisah“ angedroht, also Einsperrungen Dutzender Personen in einen Container, systematisches Vergewaltigen von Jugendlichen und erwachsenen Männern und das Verbrennen der Leichen von Folter-Opfern.

Jaja, genau, schrecklich nicht. Aber halt!

Hat man auch die ganze Feinheit der Argumentation gewürdigt:

dass man die seit Ahmadineschads Präsidentschaft veränderte Lage nicht in den Hintergrund schieben darf

Erstens hat Höffe bis zu der enttäuschenden Nachricht des Wechsels im Organisationskomitee die veränderte Lage durchaus in den Hintergrund geschoben, und zwar ziemlich lange. Ahmedinejad ist immerhin seit August 2005 iranischer Präsident.

Und zweitens stellt sich sowieso die Frage: Einsperrungen Dutzender Personen in einen Container, systematisches Vergewaltigen von Jugendlichen und erwachsenen Männern und das Verbrennen der Leichen von Folter-Opfern… Gab es so etwas in der Islamischen Republik Iran vorher etwa nicht? Im Iran scheint plötzlich alles ganz neu für den Herrn Professor. Und voller gerechter Empörung geht es weiter:

Zu Adels Leitung passt, dass sich unter den Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirates Djavad Laridschani findet, der Vorsitzende beziehungsweise Sekretär der iranischen Menschenrechtskommission, die in Wahrheit als Dementier-Maschine tätig ist. Ihre Arbeit erschöpft sich nämlich in der systematischen Leugnung der Menschenrechtsverstöße im Iran sowie in der Verurteilung von Menschenrechtsverstößen in Israel und den Vereinigten Staaten. Laridschani behauptet sogar, der Iran sei „das freieste und demokratischste Land der Welt“, und alle Dokumente und Filme über die Geschehnisse der letzten Monate im Iran, teilweise sehr erschütternde Videos, seien Fälschungen des Imperialismus und der Spione des Imperialismus im Iran. Von derartigen „Gutachtern“ ist mit einer Zensur, zumindest der iranischen Beiträge, zu rechnen.

So sind also die Verhältnisse im Iran! Man merkt Höffe immer noch den Schrecken an, den er empfunden haben muß, als sich ihm das alles –  ja wann? Vor ein paar Wochen? – sozusagen offenbart hat.

Aber, was soll das Nörgeln und die negative Kritelei, immerhin! Immerhin. Das Ende vom „Kritischen Dialog“ ist jetzt selbst hier angelangt. Lange genug hat es gedauert. Dem Philosophen hat sich ein Zugang zur bösen Realität der Welt geöffnet. Und das Regime hat propagandistisch seinen Schaden davon. Das sei ausdrücklich gewürdigt.

So droht die Gefahr, dass ein Weltphilosophietag als Propagandaveranstaltung des Staatspräsidenten missbraucht wird. Dazu kann ich meine Hand nicht reichen. […]Als Philosoph kann man nur auf eine radikale Änderung der Entwicklung hoffen, damit sich die bislang gute Zusammenarbeit weiterführen lässt. Unter den derzeitigen Umständen jedenfalls verrät der Weltphilosophietag seine Aufgabe, unter allen Kulturen den freien Diskurs zu pflegen.

Und dem Wahren, Schönen und Guten eine Huldigung. Nur der häßliche Verdacht bleibt, bei etwas anderen als den derzeitigen Umständen würde Professor Höffe liebend gerne unter allen Kulturen den freien Diskurs als Ehremitglied einer Akademie der Islamischen Republik Iran weiterpflegen.

Vielleicht sollten sie im Iran einfach aufhören die Folteropfer auch noch zu verbrennen. Der Gestank stört bei der Kantlektüre.

2 Antworten to “Absturz aus dem Wolkenkuckucksheim”

  1. Bernd Dahlenburg Says:

    dass man die seit Ahmadineschads Präsidentschaft veränderte Lage nicht in den Hintergrund schieben darf […]

    ————-
    Als ob es vorher keine Diktatur des islamischen Regimes gegeben hätte…

    Ergo muss von 1979 bis 2009 eine „Regierung“ geherrscht haben, die die Menschenrechte berücksichtigte.

    Wow!

    Sehr gut herausgearbeitet, Oliver!

  2. chris schneider Says:

    erstmal muss ich mich wundern wieso du dir die ganze mühe gemacht hast und warum dir während du diesen vor polemik triefenden text nicht aufgefallen ist dass du kein wort von dem verstanden hast was prof. höffe in seinem rechtfertigung sagen wollte, bzw. warum du ihn unbedingt falsch verstehen willst?
    es ging in den vorherigen jahren nicht um menschenrechtsverletzungen im iran mit denen die iranischen philosophen ja nicht unbedingt etwas zu tun haben. im gegenteil! ich zitire: „generell sprechen für die Teilnahme die Möglichkeit einer freien Debatte, im Fall Irans zusätzlich die Chance, Grundsätze der iranisch-islamischen Philosophie in den allgemeinen Philosophiediskurs einzubringen“. die politik kam erst ins spiel als ahmadineschad seine leute in die leitung bzw. den wissenschaftlichen beirat stellte.
    ich hoffe in der schule liest du deine zu interpretierenden texte gründlicher, sonst wird es schwer mit dem abi!

    wie kann man behaupten dieser text sei „gut herausgearbeitet“? dieser artikel oder wie man es auch immer nennen mag, der ausserdem dem leser leider seine rechtfertigung vorenthält, ist von vorne bis hinten einfach nur mist, und könnte auch in 2 sätzen formuliert werden.

    da hat sich die mühe ja glohnt!


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