Der Iran, die Bombe und das religiöse Recht zu lügen

Die Atombombe sei „unislamisch“ und darum keine Option, behauptet Irans Präsident. Doch taktische Lügen sind im schiitischen Islam ausdrücklich erlaubt, offizielle Beteuerungen nichts wert.

Von Hans Rühle

Wann immer in den vergangenen Jahrzehnten über das iranische Nuklearprogramm diskutiert wurde, kam alsbald der Einwand, Massenvernichtungswaffen im Allgemeinen, Nuklearwaffen im Besonderen seien „unislamisch“ und daher tabu für den islamischen Gottesstaat Iran.

Als Kronzeuge für diese prinzipielle Atom-Abstinenz wurde Ayatollah Khomeini benannt, der nach Übernahme der Macht im Jahr 1979 eine entsprechende Fatwa, eine förmliche religiöse Grundsatzaussage, erlassen habe.

Zwar sind im Laufe der Jahre eine Reihe weiterer Negativformulierungen für nukleare Waffen hinzugekommen: Unmoralisch, verboten, gefährlich, schädlich und nutzlos. Als Grundaussage bleibt aber, wie der oberste geistliche Führer des Iran, Ayatollah Chamenei, vor Kurzem bestätigte, die Feststellung, der Einsatz von Nuklearwaffen sei „eine Sünde“; dies entspricht seiner Fatwa von 2003 und vielfältiger Aussagen gleicher Art in nachfolgenden Jahren. Und weil nicht sein könne, was nicht sein dürfe, entwickle der Iran auch keine Nuklearwaffen.

Keine schriftlichen Zeugnisse
Doch an dieser religiös fundierten, auf eine Fatwa Khomeinis zurückgehenden Ablehnung nuklearer Waffen stimmt nichts – weder grundsätzlich noch im Fall des Iran.

Zunächst ist festzustellen, dass es die viel zitierte Fatwa Khomeinis mit der Qualifizierung von Nuklearwaffen als „unislamisch“ nicht gegeben hat. Weder gibt es ein schriftliches Zeugnis hierüber, noch einen Ohrenzeugen. Es gibt nur Leute, die in dritter oder vierter Ableitung etwas Entsprechendes gehört haben wollen.

Schah wollte Nuklearwaffen
Dass Khomeini 1979 den Weiterbau der zivilen nuklearen Infrastruktur, die der Schah in Auftrag gegeben hatte, stoppen ließ, hat in diesem Zusammenhang nur marginale Bedeutung. Der Schah hatte zwar die Absicht, möglichst schnell über Nuklearwaffen verfügen zu können, 1979/80 waren die iranischen nuklearen Aktivitäten aber noch ausschließlich ziviler Natur, wenn auch mit einer militärischen Perspektive. Es gab also für Khomeini nicht allzu viel zu stoppen, was aktuellen militärischen Bezug gehabt hätte.

Was bleibt, ist eine wahrscheinlich generelle Abneigung Khomeinis gegen alles „Nukleare“ – jedenfalls aber kein Sachverhalt, der eine Fatwa erforderlich gemacht hätte.

So wichtig diese Feststellung über die Nichtexistenz der Fatwa von Khomeini für die Diskussion in der Sache auch sein mag, wichtiger ist die vergleichsweise neue Erkenntnis, das Khomeini bereits 1984 die Entwicklung von nuklearen und chemischen Waffen angeordnet hat. Dies ergibt sich aus einem der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA vorliegenden Bericht aus dem inneren iranischen Führungszirkel.

Abschreckung in den Händen der Gotteskrieger
Ayatollah Chamenei, der als damaliger Präsident des Iran das Treffen leitete und die Entscheidung Khomeinis verkündete, erklärte weiter, er betrachte eine iranische Atombombe als den einzigen Weg, um die islamische Revolution zu schützen und das Land auf die Ankunft des Imam Mehdi vorzubereiten. Ein iranisches nukleares Arsenal sei, so Chamenei schließlich, eine Abschreckung in den Händen der Gotteskrieger.

Bestätigt wird diese Entwicklung durch die Informationen eines CIA-Agenten, der über einen Zeitraum von zehn Jahren aus dem Innenleben der Revolutionären Garden berichtet hat. In einer Meldung aus der zweiten Hälfte des Jahres 1984, mitten also im Krieg zwischen dem Iran und dem Irak (1980 bis 1988), wird auf die Erkenntnis der Garden Bezug genommen, dass Saddam Hussein sich mit allen Mitteln Nuklearwaffen beschaffen wolle.

„Dementsprechend“, so der Bericht des Spions mit dem Decknamen „Wally“, „haben die Revolutionären Garden mit Zustimmung von Imam Khomeini begonnen, Nuklearwaffen verfügbar zu machen.“

Entscheidung 1984 getroffen
Ein weiterer Beleg für die durch Khomeini 1984 ausgelöste dramatische Veränderung der iranischen Nuklearpolitik ergibt sich aus den 1985 anlaufenden Aktivitäten der iranischen Regierung, sich mit der Technologie der Urananreicherung vertraut zu machen und Kontakte zu potenziellen Geschäftspartnern aufzubauen.

Bereits 1987 erwarb der Iran nach Erkenntnissen der IAEA vom pakistanischen Atomschmuggler Abdul Qadeer Khan Schlüsselkomponenten für ein nukleares Anreicherungsprogramm, einschließlich der Pläne zur Herstellung von waffenfähigem Uran.

Vor diesem Hintergrund kann es als gesicherte Erkenntnis gelten, dass der Iran 1984 die Entscheidung getroffen hat, Nuklearwaffen zu entwickeln und zu produzieren. Zugleich hat die iranische Führung öffentlich aber immer darauf hingewiesen, dass die Produktion oder der Einsatz von Massenvernichtungswaffen in jeder Form verboten seien.

Staatsinteresse geht vor
Dieser scheinbar fundamentale Widerspruch zwischen Taten und Rhetorik kann in der Welt des real existierenden Iran problemlos aufgelöst werden. Obwohl im Gottesstaat Iran das Religiöse eine besondere Bedeutung hat, stehen bei wichtigen Entscheidungen die Staatsinteressen über den religiösen Geboten des schiitischen Islam.

Khomeini hat dieses Prinzip in einer Serie von Briefen in den Jahren 1987 und 1988 gegenüber dem damaligen Präsidenten Khamenei und dem Wächterrat statuiert. Darin stellt er unmissverständlich fest, dass die Regierung der Islamischen Republik sowohl die Zerstörung einer Moschee anordnen als auch die Befolgung der fünf Grundpflichten des Islam (Glaubensbekenntnis, Gebet, Fasten, Gabe von Almosen, Pilgerreise nach Mekka) außer Kraft setzen könne, wenn es das Staatsinteresse gebiete.

Ziel ist das Überleben der Islamischen Republik
Dementsprechend war es schon im zeitlichen Vorfeld dieser revolutionären Festlegungen Khomeini widerspruchslos möglich, angesichts des tatsächlichen Einsatzes von chemischen Waffen durch den Irak und des erkennbaren Willens von Saddam Hussein, sich mit Nuklearwaffen auszurüsten, die ohnehin schon wankenden Regeln des traditionellen islamischen Kriegsrechts außer Kraft zu setzen und die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen anzuordnen.

Höchstes Ziel war und ist das Überleben der Islamischen Republik. Da Khomeini hierfür Massenvernichtungswaffen für erforderlich hielt, war die Entscheidung gefallen. Dass die iranische Regierung auf ihrer antinuklearen Rhetorik beharrt, hat in der Sache keine Bedeutung.

Prinzip der Taqiyya gilt immer
Warum aber bleibt sie dann dabei? Diese Frage beantwortet sich mit dem Hinweis auf das nur im schiitischen Islam praktizierte Prinzip der „Taqiyya“. Es meint die vorsätzliche Täuschung als Selbstschutz und gilt für jeden Einzelnen wie auch für die Regierung.

In der Praxis heißt dies, dass jeder, der um Geld oder Leben fürchten muss, beliebig lügen kann, um Nachteile zu vermeiden. Dabei gibt es keine Beschränkungen. Das Prinzip der Taqiyya gilt immer und überall – selbst bei Glaubensfragen.

Rhetorik steht den Fakten entgegen
Das klassische Beispiel hierfür hat Khomeini selbst gegeben. 1981 bekannte er öffentlich, dass, wenn es um das Wohl der islamischen Sache gehe, selbstverständlich gelogen und auch Alkohol getrunken werden dürfe.

Im Kontext der den Fakten offensichtlich entgegenstehenden antinuklearen Rhetorik der gegenwärtigen iranischen Regierung bedeutet dies, dass diese sich auf festem Grund schiitischer Prinzipien bewegt, wenn sie kompromisslos die Unwahrheit über ihr nukleares Waffenprogramm verkündet.

Täuschungsverhalten zum Selbstschutz
Da die iranische Regierung immer befürchten musste, dass ihre im nationalen Interesse liegende Ausrüstung mit Nuklearwaffen durch massiven politischen Druck, Sanktionen oder Interventionen verhindert werden könnte, ist das Bestreiten der Nuklearrüstung also ein Täuschungsverhalten zum Selbstschutz. Daran hat sich nichts geändert. Es darf also weiter gelogen werden.

Dies gilt im Übrigen auch dann, wenn die Lüge die Qualität einer Fatwa hat. Eine Fatwa ist jederzeit veränderbar. Khomeini, der im Iran noch immer Maßstab für alles und jeden ist, hat mehrfach seine Fatawa (Plural von Fatwa, d. Red.) verändert und nicht selten ins Gegenteil verkehrt. Die iranische Führung könnte daher problemlos und zu jedem beliebigen Zeitpunkt eine neue Lage schaffen.

Was sind die Unterschriften wert?
Bleibt die Frage, was von der internationalen politischen Satisfaktionsfähigkeit des Iran zu halten ist. Was sind die Unterschriften der iranischen Regierung unter internationale Verträge wert, wenn auch sie dem Prinzip der Täuschung zum Selbstschutz unterliegen? Was insbesondere gilt im konkreten Fall der iranischen Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag?

Die Antwort ist leicht – und fällt doch unsagbar schwer: All diese Unterschriften sind im Ernstfall nicht belastbar. Alles irgendwie Vereinbarte steht immer und überall zur Disposition der im Iran Regierenden. Wenn nicht alles täuscht, steht hinsichtlich des Atomwaffensperrvertrags die Stunde der Wahrheit unmittelbar bevor.

Quelle: WELT/Hans Rühle

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